Die hölzerne Stadt

Das Landesdurchgangslager für Flüchtlinge


Freiburg war am 21. April 1945 von der französischen Armee besetzt worden. Schon wenige Tage später, am 15. Mai, befahl der Chef der französischen Militärregierung, Generalleutnant Montel, die Errichtung eines Internierungslagers für politische Gefangene. Es sollte 3000 Personen aufnehmen können, davon 500 Frauen. Die Bretterbaracken sollten Schlafräume, Essräume, Lazarett und sanitäre Räume enthalten. Für jeden Gefangenen war ein Holzbett mit einem Strohsack und einer Decke vorzusehen. Umgrenzt werden sollte das Lager mit einem doppelten Stacheldrahtzaun von 3 Metern Höhe mit Wachtürmen in jedem der 4 Ecken. Der Ort, der außerhalb der Stadt, in einem Umkreis von höchstens 10 km liegen sollte, musste binnen 48 Stunden bestimmt werden, die Bauarbeiten bis spätestens 30. Juni beendet sein.

Die Wahl fiel auf ein Gelände im Osten Betzenhausens, in der Nähe des Gewerbegebiets an Lehener Straße und Grenzstraße. Übertragen auf die heutige Bebauung würde das Lager am Runzmattenweg 22 beginnen, die Kreuzung Sundgau-IBerliner Allee überdecken und im Altarraum von St. Albert enden. Der Eingang war nach Norden hin zur Idingerstraße gelegen. Die Baracken stammten aus dem Zwangsarbeiterlager der Erzbau-AG Blumberg sowie aus Beständen des Reichsarbeitsdienstes.

Dieses Internierungslager wurde im Rahmen der Entnazifizierungsverfahren am Ende des Jahres 1948 geschlossen. Die Bitte der Stadt Freiburg, es abreißen zu dürfen, wurde jedoch von französischer Seite abgelehnt.

Während sich über den Rest von Deutschland eine große Flut von Flüchtlingen wälzte, hatte die französische Besatzung deren Aufnahme abgelehnt. Am 25.05.1949 musste jedoch die
französische Besatzungszone auf Druck der übrigen Alliierten ihre Pforten für sie öffnen. Als Landesdurchgangslager für Flüchtlinge von (Süd-)Baden sollte das ehemalige Internierungslager nun dienen. Es wurde deshalb dem Land Baden überlassen. Nach Entseuchung und einer notdürftigen Instandsetzung konnte es am 15.08.1949 seiner neuen Bestimmung übergeben werden. In jeder Baracke sollten 100 Personen leben, verteilt auf 5 Räume mit je 20 Personen.

Gemeinschaftsverpflegung war bis 1952 vorgeschrieben und führte häufig zu Protesten der Einwohner. Der Stacheldrahtzaun musste stehen bleiben, da das Gelände im Notfall binnen 24 Stunden geräumt werden sollte, um dann erneut als Internierungslager dienen zu können. Nach seinem Aussehen erinnerte es Dr. H. Ruby, den damaligen Minister für Volkswohlfahrt von Schleswig-Holstein, an das KZ Sachsenhausen, wie er der badischen Landesregierung schrieb.

Aus Schleswig-Holstein und Dänemark kamen viele der Flüchtlinge nach Südbaden. Sie waren über die oder entlang der Ostsee nach Westen geflohen und dort gestrandet. Mit insgesamt weit über 1 Million Flüchtlingen waren diese Länder hoffnungslos überfordert. Eine zweite größere Gruppe waren die Banater Schwaben und die Sudetendeutschen.

Im Jahre 1950 lebten schon 4000 Flüchtlinge im Lager, bis zu seiner Auflösung sollten es über 35.000 sein. Man kann nicht sagen, dass diese Heimatvertriebenen der Bevölkerung willkommen waren. Mit Argwohn betrachteten die Freiburger die Neuankömmlinge, immer darauf bedacht, dass diese nicht gegenüber ihnen und den 7000 Obdachlosen in der Stadt „bevorzugt“ werden könnten. Aus dem Landesdurchgangslager wurde der Stadt Freiburg ein Kontingent von 3000 Personen zur Aufnahme zugeteilt. Doch wohin damit?

Da Anfang der 1950iger Jahre mehrere Kreisdurchgangslager, so zum Beispiel in Kirchzarten und Eichstetten am Kaiserstuhl, errichtet worden waren, konnte die Stadt Freiburg einige Baracken des Landesdurchgangslagers vom Land übernehmen. Diese wurden gegenüber dem restlichen Lager mit einem Zaun abgetrennt, so dass zu dem äußeren jetzt noch ein zweiter Zaun kam.

Diese anfänglich 4, später 6 Baracken wurden nun in kleinere Wohneinheiten aufgeteilt, insgesamt 17 pro Baracke. Jede Familie hatte ihre eigene Kochstelle. Trotzdem war allen Beteiligten bewusst, dass dies keine Dauerlösung sein durfte. Nach dem Vorbild von Donaueschingen, Villingen und anderen Städten beschloss die Stadt Freiburg, mit Hilfe von gemeinnützigen Baugesellschaften Wohneinheiten zu bauen. Sie sollten für einen Zeitraum von 5 Jahren als Flüchtlingslager angemietet werden, um danach als reguläre Wohnungen zu dienen. Das Land förderte dieses Programm.

So baute die Kreisbaugenossenschaft, die spätere Gebau Süd, die Häuser Lehener Straße 101, 103, 105, 107 und 115 mit insgesamt 100 Wohnungen. Jede Familie bekam ein Zimmer in einer Dreizimmerwohnung zugewiesen. Bei Bezug bis 1959 lebten 1100 Personen in den 100 Wohnungen. Das Barackenlager konnte geschlossen werden.

Einige der Baracken erlebten jedoch eine weitere Karriere. Mit Schließung des Landesdurchgangslagers zogen sich Stadt und Land aus der Sozialbetreuung zurück, so als ob nun alle Probleme gelöst worden wären. Diese Lücke wurde glücklicherweise von der Garitas geschlossen, die in der ehemaligen Baracke Nr. 13 ein Sozialzentrum mit Kindergarten, Jugendbegegnungsstätte und Beratungsstelle einrichtete. Später diente dieses Gebäude als Kirche der evangelischen Gemeinde Markus-West, bis sie die heutige Matthäuskirche beziehen konnte. Die ehemalige Lagerkirche wurde nach Vörstetten versetzt.

Dr. Thomas Hammerich


Ein Beitrag in Bürgerblättle 192, Okt.-Nov. 2008

Der Text ist dem Buch „100 Jahre Betzenhausen bei Freiburg“ entnommen.

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