Südwestdeutschland im Jahre 1512
Im Jahr 1513 rief Jos Fritz zum Bundschuhaufstand. War das ein bäuerlicher Aufstand im tiefsten Mittelalter? Sicher nicht. 21 Jahre zuvor war Amerika entdeckt worden. Wie wir im Schulunterricht gelernt haben, soll damals die Neuzeit begonnen haben. Wie sah also zu jener Zeit die Welt aus, oder genauer, wie sahen die Gelehrten damals die Welt oder Deutschland, das sie auf lateinisch »Germania« nannten?
Glücklicherweise hat der Humanist Johannes Cochläus im Jahr 1512 eine Beschreibung Deutschlands beziehungsweise Germaniens geschrieben. In jener Zeit erwachte unter den Humanisten in Westeuropa eine erste Welle von Nationalismus. Jeder versuchte daher seine Heimat als die beste und kulturreichste darzustellen. Die deutsche Antwort darauf ist eben jene Beschreibung: »Brevis Germaniae descriptio tum a rebus gestis moribusque populorum tum a locorum situ«, frei übersetzt: »Kurze Beschreibung Germaniens mit seiner Geografie, Geschichte und Kultur«. Es ist dies ein Schulbuch für den humanistischen Unterricht in Nürnberg, wo Cochläus zu jener Zeit als Schulrektor tätig war.
Johannes Cochläus wurde 1479 als Johannes Dobeneck in der Pfarrei Wendelstein geboren und änderte deshalb seinen Namen nach damaliger Gelehrtensitte in Cochläus (von lateinisch Schnecke, Wendeltreppe). Heute ist er vor allem durch seine anti-lutherischen Schriften und Pamphlete bekannt. Er war ein Anwalt der katholischen Sache auf den nachreformatorischen Reichstagen. Vor seinen theologischen Schriften hat er das Deutschlandbuch herausgegeben. Geografisch handelt es sich in etwa um die damaligen deutschsprachigen Gebiete Mitteleuropas, jedoch zeigt der Autor kein Interesse an einer genauen Definition. Einen Staat im heutigen Sinn gab es sowieso noch nicht.
Zuerst wird in dem Buch die mythische Geschichte Germaniens von der Urzeit bis zur Gegenwart im 16. Jahrhundert dargestellt, um dann auf die glückliche Lage der Deutschen in der damaligen Gegenwart einzugehen. Der größte Teil der Darstellung wird jedoch den einzelnen Landstrichen und Städten gewidmet. So beschreibt er auch Schwaben, was heute in etwa Südbaden, Südwürttemberg, Hohenzollern und dem bayrischen Allgäu entspricht. Frei übersetzt und etwas gekürzt schreibt er: »Schwaben ist durch seine fruchtbaren Böden und durch den Fleiß seiner Bewohner im Frieden und im Krieg berühmt.
Im Krieg gibt es viele geistig und körperlich hervorragende Krieger. Auch für Wissenschaft, Handel und Handwerk ist der Volksstamm sehr geeignet und äußerst talentiert. Der Stamm wird in viele Gaue geteilt, unter anderem in den Preisgau [heute Breisgau], der seinen Namen vom Preis hat, den er wegen seiner Fruchtbarkeit innehat, in den Sungau [heute Sundgau] als Sonnengau und den Ergau [zwischen Donau und Bodensee] als Gau der Ehre.«
Die Ableitung der Gaunamen von ähnlich klingenden Begriffen mag für uns kurios sein, diese Methode wurde aber früher und vielleicht auch heute häufiger im Volksmund angewandt. Über den Breisgau lesen wir weiter: »Im Breisgau gibt es Neuenburg und Freiburg. Letzteres wird gerühmt wegen der Beschäftigung mit den Wissenschaften. Es ist bezaubernd wegen seiner Bäche, die durch manche Straßen fließen.« Die junge im Jahre 1457 gegründete Universität von Freiburg hatte anscheinend einen guten Ruf auch bei Auswärtigen.
Zum Schluss wollen wir uns noch unseren Nachbarn im Süden zuwenden. Cochläus schreibt: »Die Schweizer bewohnen die Alpen. Sie sind ein Volksstamm, der sein Leben nicht achtet und der der allerkriegerischste ist. Sie sind im Kampf unbesiegt, den Nachbarn ein Schrecken, den Fremden gegenüber freundlich, fromm in ihrem Glauben und berühmt wegen ihrer Freiheit.« Und hier haben wir den Begriff der Freiheit! Es ist der Ruf, unter dem der Bundschuh »aufgeworfen« wird. Die Freiheit wird eine zentrale Forderung der Bauernkriege sein.
Dr. Thomas Hammerich
Beitrag aus Bürgerblättle 213, April / Mai 2012